Wege der Integration jugendlicher Migranten_innen aus bildungsfernen Milieus in Tübingen

Als Zielgruppe haben wir jugendliche Migrant_innen aus bildungsfernen Milieus am Ende ihrer beruflichen Ausbildung ausgewählt.

Begründung

Jugendliche aus bildungsfernen Milieus und speziell aus Migrationsmilieus haben es in der Akademikerstadt Tübingen besonders schwer, sich zu integrieren. Sie haben in der heraufziehenden Wirtschaftskrise einen schwierigen Einstieg in den Beruf und sie haben in Tübingen besondere Schwierigkeiten, da einerseits nur wenige Berufssparten für sie vorhanden sind und diese ein relativ hohes Bildungsniveau verlangen, und andererseits der öffentliche Bereich durch die akademische Kultur bestimmt wird. Sie stehen am Ende ihrer beruflichen Ausbildung am sozialen Rand und bleiben – übrigens auch in der Sozialforschung – im Dunkeln. Es ist wichtig zu erforschen, vor welchen Problemen die jungen Migrant_innen stehen und welche erfolgreichen, aber auch erfolglosen Strategien und Perspektiven sie entwickelt haben.

Fragestellungen und Zielgruppe

Drei Fragestellungen wurden intensiv bearbeitet:

1. In welchen sozialen Kontexten sind die jungen Migrante_innen aufgewachsen und welche Erfahrungen haben sie in Bezug auf Partizipation und Integration gemacht?

2. Wie rekonstruieren sie ihre eigene Entwicklung als Begründung für die gegenwärtige Situation?

3. Welche Strategien, Perspektiven und Wünsche entwickeln sie vor diesem Hintergrund für ihre Zukunft?

Im letzten Jahr ihrer beruflichen Ausbildung sind die Jugendlichen noch ganz nah an den Schulerfahrungen und haben trotzdem genügend biographische Erfahrungen gesammelt, um auch eigene Strategien und Perspektiven zu entwickeln. Gleichzeitig sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integrationsdynamik noch ganz vorhanden, welche mit fortgeschrittenem Alter zwangsläufig abnehmen. Vor allem die jungen Frauen aus Migrationsfamilien spielen bei den Integrationsdynamiken eine wichtige Rolle, da sie in der Zukunft über die Orientierung der Familie und der Kinder maßgeblich mitbestimmen. Deshalb sollten sie in dem Projekt eine besondere Aufmerksamkeit erfahren.

Für die Erhebung eignen sich ganz besonders die drei beruflichen Tübinger Schulen mit insgesamt über 4000 Schülerinnen und Schülern. Etwa ein Drittel von ihnen kommt aus Tübingen. Insbesondere die acht BEJ- und BVJ-Klassen mit insgesamt etwa 100 Schülerinnen und Schülern verdienen wegen ihres hohen Migrantenanteils bzw. der spezifischen Integrationsproblematik besondere Aufmerksamkeit. Außerdem sollen durch Einbezug des Wirtschaftsgymnasiums die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Bildungsweg erforscht werden.

Über die schulischen Ausbildungseinrichtungen ist der Zugang zu der Zielgruppe und zu ihren spezifischen Problemen einfacher.

Vor allem an dieser Generation von Jugendlichen wird sich entscheiden, ob Integration – nicht nur in Tübingen – gelingt, oder ob sie in vielfacher Hinsicht zum Dauerproblem wird.

Bedeutung für die Praxis

Die praktische Bedeutung des Forschungsprojekts liegt darin, dass wir den jungen Erwachsenen aus bildungsfernen Milieus und speziell den Migrant_innen eine Möglichkeit bieten, sich zu ihrer Situation, zu ihrem Weg dorthin und zu ihrer Perspektive authentisch zu äußern. Sie können Kritik äußern, eigene Erfahrungen aktualisieren und ihre Wünsche äußern. Wir haben dies dokumentiert und aufbereitet, d.h. v.a. den Migrant_innen eine Stimme gegeben. Wir sehen uns dabei als Vermittler bzw. Übersetzer zwischen der Verwaltung und dieser Gruppe von Bürgern. Durch diese Vorgehensweise soll auch eine bestimmte Partizipation erreicht werden. Da die ausgewählte Zielgruppe über keine wirklich demokratisch legitimierte Vertretung verfügt, ist es eine wichtige Aufgabe unserer Forschung ihre Anliegen und Interessen zuerst zu klären und dann weiterzuvermitteln.

Diese Art von Forschung unterstützt die kommunale Integrationspraxis unmittelbar und ist daher auch überregional beispielhaft. Die Kommune bedient sich hierbei der Forschung, d.h. die Integrationsarbeit wird durch Forschung unterstützt und begleitet.

Der Forschungsprozess

Der Forschungsprozess wird durch eine Reihe aufeinander bezogener Forschungsverfahren strukturiert:

• Mit einer Umfrage an Berufsschulen und Wirtschaftsgymnasium in Tübingen haben wir einen ersten Kontakt zu den Jugendlichen aus Migrationsfamilien hergestellt. Wir haben dazu einen standardisierten Fragebogen konstruiert, der schon bei der Durchführung anregt, über die eigene Situation und Perspektive nachzudenken. Durch die Befragung einer Clusterstichprobe haben wir dabei eine gewisse Repräsentativität erreicht.

• Im Mittelpunkt unserer Forschung standen sogenannte Focusgroups, d.h. dass nicht nur Einzelne befragt worden sind: mehrere junge Menschen tauschten sich in ähnlicher Lage vor einer Kamera oder einem Tonband aus.

• Hinzu kamen einzelne offene Leitfaden-Interviews. Ihre Zahl wurde vom Forschungsverlauf und dem dazu parallelen Auswertungsprozess beeinfluss.

• Zusätzlich zu den jungen Menschen aus Migrationsfamilien wurden als Kontrollgruppe auch deutsche Jugendliche aus bildungsfernen Milieus einbezogen. Dadurch ließ sich genauer bestimmen, welche Faktoren migrationsspezifisch und nicht nur schichtspezifisch sind.